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125 Jahre Rheinmetall – die Jahre 1989 bis 2000

Rasende Widder und Revolverhelden

Das Kommunikationstechnikunternehmen Richard Hirschmann GmbH & Co. KG in Neckartenzlingen bei Nürtingen steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Eine neue Geschäftsleitung soll das Unternehmen sanieren und für den Verkauf fit machen – so die Ausgangssituation für das Buch mit dem Titel „Nur Vögel können fliegen“. Im wirklichen Leben gelang Hirschmann dieser Verkauf: 1997 wurde der Elektronik- Spezialist von der Rheinmetall-Unternehmensgruppe gekauft. Für den ehemaligen Hirschmann-Pressesprecher Dr. Lothar Ulsamer hat diese Geschichte, bei der er auch berufl iche und persönliche Historie verarbeitet, genug Zündstoff, um daraus einen Krimi zu machen. Das Buch ist sein erstes unter weiteren regionalen Kriminalromanen.

Es ist kein Zufall, dass die beiden Protagonisten Markus Petermann und Roy Lester im wirklichen Leben der ehemalige Hirschmann- Geschäftsführer Richard G. Hirschmann und der Pressesprecher Dr. Lothar Ulsamer waren. Die Geschichte liest sich gut; dass die Schreibfeder zum Handwerkszeug des Autors gehört, ist unverkennbar. Inhaltlich mutet das Buch jedoch etwas abstrus an; die erzeugte Spannung wirkt sehr gewollt: Das Unternehmerehepaar Petermann soll ausgeschaltet werden, die Drahtzieher gehören einer Psychosekte und einem Drogenkartell an, die das Unternehmen in deren Einflussbereich bekommen wollen. Die zwei neu ernannten Geschäftsführer Jablonsky und Meierle sind Bösewichte, die sich mit rigorosen Methoden an den Umbau des Betriebes machen und dabei sämtliche langjährige Mitarbeiter ohne Angabe von Gründen feuern.
Vor diesem Hintergrund geschieht ein Mordanschlag mit einem Lieferwagen auf Frau Petermann, die Frau des Ex-Geschäftsführers. Um herauszubekommen, wer hinter dem Komplott steht, motiviert Lester die Petermanns dazu, sich in den schottischen Highlands zu verstecken. Auch der Ex-Pressechef Lester will sich und seine Familie aus dem Verkehr ziehen. Mit Kind und Kegel macht er sich mit dem Auto in den schottischen Küstenort Loch Eriboll im Norden des Landes auf; der Urlaubsort ist für die Familie zur zweiten Heimat geworden. Wie zu erwarten, verläuft die Urlaubsreise nicht ohne Probleme: Die Petermann-Verfolger sind ihm dicht auf den Fersen. Hätte Petermann doch mal nicht seine Schwester zum Geburtstag angerufen, die ausgerechnet den neuen Aufenthaltsort ihres Bruders ausposaunt hat.
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Die Dramatik im Krimi à la Karl May nimmt weiter zu: Petermanns und Lesters, hoffnungsvoll vereint im Golfhotel, sind auch in Schottland nicht vor den Sekten-Aktivisten sicher. Trotz persönlicher Kontakte Lesters zu einem schottischen Kriminalbeamten werden sie an ihrem Zufluchtsort rasch aufgespürt. Es kommt zu einem weiteren Attentat auf Markus Petermann. Er überlebt dank Lester, der den Attentäter gerade noch rechtzeitig auf dem Golfplatz entdeckt und seinen ehemaligen Chef und Freund im richtigen Moment befiehlt, sich in die schützende Sandkuhle zu werfen. Turbulent geht es weiter: Erneut packen Petermanns ihre Sachen, um in ein Ferienhaus im Umkreis umzuziehen.

Die Verfolgerjagd nimmt kein Ende: Lester überlistet die Hintermänner erneut und fährt ihnen im Fischerboot vor der Nase davon. Trotz aussichtsreicher Hinweise scheinen die Recherchen des Titelhelden Lesters im Sand zu verlaufen. Doch die Schlinge zieht sich um Jablonsky, den Großmeister der Sonnen-Sekte und einem der neuen Geschäftsführer der Petermann-Werke, zu. Von Lester entlarvt, sieht er keinen Ausweg und begeht Selbstmord; der zweite Geschäftsführer Meierle flüchtet… Ende gut, alles gut: Die Petermann-Werke werden, begleitet von Petermann und Lester, erfolgreich verkauft. Petermann übernimmt repräsentative Aufgaben für das Unternehmen; sein Pressesprecher Lester bleibt ihm treu.

Kriminalromane vor regionaler Handlungsbühne liegen im Trend. Auch Ulsamer, der in Tübingen und Würzburg Sozialwissenschaften studiert hat, springt mit seinem Kriminalroman auf diesen Zug auf. Bewusst hat er sich im ersten Teil des Krimis als Schaubühne für das in Kelterburg umbenannte Esslingen am Neckar, seiner alten Wirkungsstätte als Pressesprecher, entschieden – auch nach der Aufgabe des traditionellen Hirschmann-Standortes zugunsten des Werkes in Neckartenzlingen war das Unternehmen durch die vielen dort ansässigen Mitarbeiter noch sehr präsent.. Für die weitere Handlung sind die schottischen Highlands mit Gebirge und schroffen Felsen ein guter Schauplatz für Schurken, rasende Widder und Revolverhelden.
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Eine Tradition geht zu Ende

Rheinmetall und Düsseldorf – mehr als 100 Jahre gehörten beide zusammen. 1889 hatte Heinrich Ehrhardt der Witwe Scheuten einen Acker abgekauft und darauf ein Produktionsgebäude errichten lassen. Rund 1500 Menschen fertigten darin Patronen für das Infanteriegewehr des Deutschen Reiches. Als 25 Jahre später der 1. Weltkrieg ausbrach, waren es bereits mehr als 8000 Menschen, die nun vor allem Geschütze herstellten. Das Werk im Stadtteil Derendorf wuchs zu einer beachtlichen Größe heran und reichte sogar bis zum heutigen Großmarkt. Nach 1945 wurde es drastisch verkleinert – und erst einmal stillgelegt. Mit der Gründung der Bundeswehr entstand neues Leben: Ob MG 42, die Zwillingsflak Mk 20 Rh 202 oder die 120-mm-Glattrohrkanone – Rheinmetall produzierte in Derendorf 35 Jahre lang für Bundeswehr und Nato. Aber mit dem Fall der Mauer begann das Ende des Standortes – Rheinmetall musste sich erneut spürbar verkleinern. Während die Verwaltung in Ratingen eine neue Heimat fand, wurden Entwicklung und Produktion nach Unterlüß verlegt. Nach 103 Jahren ging in Düsseldorf eine Tradition zu Ende.

Zugfahrt mit Hindernissen

Anfang der 1990er Jahre erwarb die Firma First Automobile Works (FAW) aus der Volksrepublik China einen Teil der Vergaserproduktion von Pierburg in Nettetal, einer linksrheinisch gelegenen Kleinstadt nahe der niederländischen Grenze. Die im dortigen Werk eingesetzten Großserien-Produktlinien für Vergaser wurden für den heimischen Markt nicht mehr benötigt. Hintergrund waren die von 1993 an verschärften Abgasgesetze für Personenkraftfahrzeuge mit Ottomotoren in den Ländern der Europäischen Union (EU), die das „Aus“ für den Vergaser zugunsten der Einspritzung mit Katalysatortechnik bedeuteten. Um die Übergabe der Anlagen an FAW, dem ehedem größten Automobilhersteller der Volksrepublik China, vorzubereiten, kamen in Etappen insgesamt rund 65 Werksangehörige aus China, die vor Ort jeweils zwei Monate geschult wurden. Harald Fredrich, damaliger Werksleiter in Nettetal, denkt an diese interessante Zeit auch mit einem Schmunzeln zurück. „Die 1990er Jahre begannen stürmisch für Pierburg. Es war eine Zeit mit vielen Veränderungen“, erinnert sich Harald Fredrich, der von 1989 bis 1999 Werksleiter in Nettetal war und unter anderem für das dortige Vergasergeschäft verantwortlich zeichnete. Die Aufgaben, die auf ihn zukamen, waren herausfordernd: Zum einen musste der damals 62-Jährige die Vergaserproduktion auflösen; zudem war er daran beteiligt, die Fertigung neuer Produkte, unter anderem Klappenstutzen und hochmoderne Saugrohrmodule, in Gang zu bringen.

Verloren die Vergaser vom Typ 2 E ihre Absatzbasis in Deutschland und anderen EUStaaten, so waren sie auf dem chinesischen Markt sehr gefragt. In Changchun, im Norden Chinas, sollten sie im Rahmen des Joint Ventures zwischen der Volkswagen AG und der FAW in die in Lizenz gefertigten Fahrzeuge „Audi 100“, „VW Golf“ und „VW Jetta“ eingebaut werden. „Dafür brauchten die Chinesen die kompletten Fertigungseinrichtungen, die wir ihnen zur Verfügung stellen konnten“, sagt der damalige Werksleiter, der 42 Jahre bei der Pierburg GmbH beschäftigt war.
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1990 reiste er gemeinsam mit seinem Vorgänger Karl Evelbauer, der ursprünglich den Kontakt zu den Chinesen hergestellt und den Verkaufsprozess der Anlagen vorbereitet hatte, nach China, um die Verträge für den Verkauf zu unterzeichnen. Fredrich: „Beeindruckt hat mich zum Beispiel, wie sehr das gemeinsame Geschäftsessen in diesem fernöstlichen Land zelebriert wird. Es standen zahlreiche und leckere Gerichte auf dem runden Dreh-Tisch. Die Schweineaugen, die mich aus einer Schüssel anglotzten, konnte ich zum Glück an mir vorbeikreisen lassen“, lacht der Pierburg-Pensionär.

Weil die chinesischen Mitarbeiter von der Vergaserproduktion wenig bis gar keine Ahnung hatten, sollten sie im Werk Nettetal unter anderem in der Bedienung der Maschinen und in der Qualitätssicherung geschult werden. Gesagt, getan! Ein Jahr später kamen die ersten 20 FAW-Mitarbeiter mit einem Delegationsleiter und einem Dolmetscher nach Nettetal.

Die zehntägige Reise mit der transsibirischen Eisenbahn von Peking über Moskau und Berlin nach Düsseldorf war für Gäste und Gastgeber ein Abenteuer: Für die Chinesen, weil sie bereits nach der ersten Zug-Etappe von Peking nach Moskau in der russischen Hauptstadt zwei Tage aufgrund von Einreiseformalitäten „festhingen“. Und da nicht alle Werker im gleichen Abteil saßen und manche von ihnen den Ausstieg in Düsseldorf verpassten und zum Beispiel versehentlich nach Köln oder Essen weiterfuhren, hatte zum Beispiel auch das Projektteam von Pierburg zusätzliche Arbeit. Fredrich: „Wir mussten uns mit der Bahnhofsmission kurzschließen und klären, wie wir die ‚Verlorengegangenen‘ wieder nach Düsseldorf zurückbekommen konnten. In vielen Fällen mussten unsere Fahrer die chinesischen Gäste in anderen Städten abholen.“ Insgesamt kamen drei Gruppen à 20 Personen zur Schulung nach Deutschland, die sich – so erinnert sich Fredrich – relativ schnell in ihre neue Aufgabe einarbeiteten.

Gewohnt haben die chinesischen Mitarbeiter auf dem Pierburg-Gelände in einer umgebauten Bürobaracke in Zimmern mit Etagenbetten und Gemeinschaftsduschen. Es gab auch eine eigene Küche, in der sich die FAW-Mitarbeiter selbst verköstigten. „Mehrmals pro Woche fuhr ein Fahrer die chinesischen Kollegen, mit dem Dolmetscher im Schlepptau, im VW-Bus zum Einkaufen. Ein Wildenten-Paar, das zuvor noch auf der Wiese vor der Baracke zu sehen war, verschwand nach einigen Tagen – es war wohl im Kochtopf gelandet. Gebratene Ente ist eine Spezialität in China“, schmunzelt Fredrich.

Für die Demontage der Anlagen wurden die Chinesen der letzten Delegationsgruppe eingesetzt. Die Gieß- und Wartungsmaschinen sowie Montageeinrichtungen wurden über Antwerpen per Schiff nach China versandt. Rund ein halbes Jahr später war die Produktion vor Ort in vollen Gange…

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